Herr Klein, es ist ein schwieriges Jahr für alle. Können Sie dem Distanzunterricht auch etwas Positives abgewinnen?
Tatsächlich hätte sich jeder im Schulbetrieb arbeitende Mensch gewünscht, dass der Regelunterricht ganz normal hätte stattfinden können. Und trotzdem gibt es viele positive Dinge – so komisch das klingen mag –, die sich aus der Situation entwickelt haben. Die bislang weitgehend brachliegende Digitalisierung im deutschen Schulwesen wurde dadurch sicherlich beschleunigt und nach vorne gebracht.
In unserem Fall konnten wir eine sehr gute technische Plattform schaffen, um Unterricht auch in der Distanz intensiv und zielgerichtet anbieten zu können. So sind wir jetzt in der Lage, ad hoc Unterrichtsformate digital oder als Präsenzformat anzubieten, was beispielsweise auch für den Regelunterricht große Vorteile bringt. Etwa wenn wir etwa im Rahmen einer Prüfungsvorbereitung kurzfristig Zusatzunterrichte oder Förderunterrichte in den Ferien anbieten, die wir nun problemlos digital und für die Ferne organisieren können, ohne dass die Präsenz der Schüler vor Ort notwendig ist.
Das Prinzip Homeschooling ist mittlerweile schon beinahe erprobt. Was hat sich aus Ihrer Sicht seit dem Frühjahr an Ihrer Schule verändert/verbessert?
Die Erwartungen im aktuellen Lockdown bzw. in der Zeit zwischen Beginn der Pandemie und jetzt haben sich natürlich gesteigert. Am Anfang war die Vorgabe nur, „irgendeine“ Art von Distanzunterricht anbieten zu können. Mittlerweile ist es schlichtweg notwendig, guten, echten Unterricht in der Distanz abbilden zu können.
Insofern hat sich etwas ganz Fundamentales verändert: Anfangs ging man davon aus, dass es eigentlich nur eine kurze Phase, eine temporäre Überbrückung einer schwierigen Zeit darstellen würde. Jetzt müssen wir in der Lage sein, für unsere Schülerinnen und Schüler den Unterricht regulär in der Distanz abzubilden. Denn die Zeit, die wir in der Pandemie in der Präsenzbeschulung verloren haben, bekommen wir nicht wieder, also müssen wir voran gehen.
Dank der technischen, organisatorischen Voraussetzungen, vor allem aber wegen des großen Engagements der Lehrerinnen und Lehrer, hat sich die Situation an der HEBO Schule sehr positiv entwickelt und funktioniert ausgezeichnet.
Wodurch unterscheidet sich die HEBO-Schule in diesen Tagen von anderen Schulen?
Es geht aktuell nicht mehr darum, die Zeit zu überbrücken, sondern qualitativ hohen Unterricht anzubieten. Wir versuchen in den normalen Präsenzphasen nicht einfach nur, guten Unterricht zu machen, sondern unsere Schüler auch pädagogisch, sozialpädagogisch, inhaltlich und emotional nach vorne zu bringen und zu unterstützen und das über die eigentlichen Fächer hinaus.
Das ist tatsächlich mittlerweile einer der wesentlichen Punkte, die wir in der Distanz abbilden: das persönliche Gespräch, die vertraute Ansprache und die unmittelbare Unterstützung sowie die individuelle Zielklärung. Was sich andere nur vornehmen, machen wir tatsächlich: Wir versuchen, unsere Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Bedürfnisse abzuholen und auf dem Weg zu ihren Zielen zu begleiten. Das funktioniert auch in der Distanz und das, wie wir glauben, mit gutem Erfolg.
Aber sicher gibt es doch auch Kinder, die mit der selbstständigen Arbeitsweise im Homeschooling nicht so gut klarkommen. Wie beziehen die Lehrkräfte sie ein, sodass sie nicht den Anschluss verpassen?
Hier gibt es tatsächlich starke Grenzen, die wir nur schwer überbrücken können. Wir haben viel Personal, auch jenseits der Lehrer, das in der Lage ist, die Schüler anzusprechen und anzuschreiben. Wir sind allerdings darauf angewiesen, dass diese Kommunikationskanäle offengehalten werden. Wenn es erforderlich ist, fahren wir auch zu den Kindern nach Hause. Aber wenn ein Kind z.B. in Bayern lebt und im Internat untergebracht werden muss, um unsere Schule besuchen zu können, ist das natürlich so nicht abbildbar.
So wir Kanäle und die Möglichkeit haben, zu kommunizieren, finden wir in der Regel auch immer eine Lösung, eine Strategie, einen Plan, den wir etablieren können, um das Kind zu unterstützen. Das kann eine Anpassung der Zielkriterien in der Aufgabenstellung sein, das kann eine separate Unterstützung im Einzelunterricht in verschiedenen Fächern oder eine spezielle pädagogische oder sogar psychologische Betreeung sein. Im Grunde können wir alles, was organisatorisch machbar und denkbar ist, anbieten.
Ihr Konzept beruht auf einer starken Lehrer-Schüler-Beziehung. Wie gelingt es Ihnen, diese auf die Distanz zu erhalten?
Zu den meisten Schülerinnen und Schülern konnten wir bereits eine positive Lehrer-Schüler-Beziehung aufbauen, da sie überwiegend schon eine Weile bei uns sind. Anspruchsvoller gestaltet es sich bei neuen Schülerinnen und Schülern, die während des Lockdowns zu uns gekommen sind. Hier können wir natürlich über das persönliche Gespräch, über die vertraute Kommunikation viel gestalten. Sicher ersetzt das nicht das Gefühl persönlicher Nähe. Aber uns gelingt es auch hier, den Kontakt ganz intensiv zu gestalten, um den Aufbau einer positiven Beziehung zu unterstützen.
Überall hört man von technischen Problemen und Systemausfällen – ist dies auch für den Distanzunterricht an der HEBO-Schule ein Thema?
Wir haben ein eigenes, hausinternes Serversystem, welches wir um verschiedene Microsoft-Clouddienste ergänzt haben und verfügen so dankenswerter Weise über ein absolut stabiles System, welches im Grunde keine technischen Ausfälle produziert. Ich glaube, dass wir damit relativ weit vorne sind, im Vergleich zu vielen anderen Systemen, die derzeit verwendet werden.
Was ist eigentlich mit den Noten – wie werden die Kinder benotet, wenn sie doch lange Zeit keinen normalen Präsenzunterricht hatten?
Aktuell werden laut der entsprechenden Vorgaben von Bezirks- und Landesregierung keine Klausuren und Tests geschrieben. Es gibt daher im Grunde auch keine Benotung. Wir versuchen, den Kindern und Eltern über die Güte der Beteiligung im Liveunterricht und der abgegebenen Arbeiten viel Feedback zu geben. So gibt es vielleicht kein klassisches Zeugnis, aber eine regelmäßige Rückmeldung, auch um die Eltern über die den Leistungsstand ihrer Kinder auf dem Laufenden zu halten.
Was ist gerade Ihre größte Sorge und wie begegnen Sie ihr?
Eine große Sorge gilt den Prüfungsjahrgängen, die ein sehr schwieriges Jahr hinter sich haben – weniger wegen der fachlichen Vorbereitung, sondern mehr wegen der emotionalen Situation, während der langen Lockdown Phasen. Die Schülerinnen und Schüler mussten diese starken Einschränkungen ebenso erdulden, wie alle anderen auch.
Wir erleben schon, dass viele Schülerinnen und Schüler durch die Gesamtsituation stark belastet sind – einfach, weil viele Dinge nicht stattfinden können, ob im häuslichen und privaten Bereich, das Treffen mit Freunden oder das gewohnte Vereinsleben. Dass so vieles nicht mehr stattfindet, wirkt sich sichtbar auf die Psyche und auf die persönliche Situation aus.
Wir versuchen, diese Entwicklung in den persönlichen Gesprächen aufzufangen, können aber leider nicht alles kompensieren. Meine größte Sorge ist, dass die Belastung für die Schüler umso größer wird, je länger diese Phase andauert.